Schlaganfallrisiko bei Vorhofflimmern bestimmen: Wie CHA2DS2-VASC-SCORE und Blutverdünner zusammenhängen
Das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, steigt mit zunehmendem Alter und einer Reihe weiterer Faktoren. Einer davon ist das Vorhofflimmern, eine Form der Herzrhythmusstörung, das für 20-30 % aller Hirninfarkte verantwortlich ist. Lesen Sie hier, wie sich das Schlaganfallrisiko bestimmen lässt und warum auch das Blutungsrisiko eine wichtige Rolle spielt.
Bis zu einem Viertel der Bevölkerung entwickelt im Laufe des Lebens ein vorrübergehendes oder anhaltendes Vorhofflimmern, eine bestimmte, häufig vorkommende Form der Herzrhythmusstörung. Zur Einschätzung des Schlaganfallrisikos bei Vorhofflimmern wurde extra ein Punktesystem (Score) etabliert, welches beispielsweise als Grundlage für die Entscheidung dient, ob eine vorbeugende Medikamentengabe zur Schlaganfall-Prävention ratsam ist.
Allgemeine Risikofaktoren für einen Schlaganfall
Ungefähr 80 % aller Schlaganfälle werden durch die Bildung von Blutgerinnseln oder Gefäßverengungen im Gehirn verursacht;1 Mediziner sprechen in diesem Fall von einem ischämischen Schlaganfall bzw. Hirninfarkt. Dabei verkleben Blutplättchen (Thrombozyten) und bilden einen Thrombus. Dieser Thrombus kann schon im Herz entstehen, in einem zuführenden Gefäß oder aber erst im Gehirn selbst.
Ganz allgemein steigt das Risiko für einen Schlaganfall ab 65 Jahren an, doch es gibt noch viele andere Risikofaktoren. Dazu gehören beispielsweise Rauchen und Alkoholkonsum, Übergewicht und Bluthochdruck (Hypertonie), Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) und Stoffwechselstörungen sowie Herz- und Lungenerkrankungen. Ein besonders erhöhtes Risiko haben Patienten, die schon einmal einen Schlaganfall erlitten haben oder eine Mangeldurchblutung des Gehirns mit vorübergehenden Ausfallserscheinungen (transitorische ischämische Attacke, TIA) hatten.
Vorhofflimmern als Risikofaktor Nummer Eins
Das Schlaganfallrisiko bei Vorhofflimmern ist relativ hoch und führt zu einer 1,5 bis 2-fach erhöhten Todesrate.2 Als Auslöser für Vorhofflimmern kommen verschiedene Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Betracht. So sind Bluthochdruck, Erkrankungen der Herzkranzgefäße und Herzklappenerkrankungen häufig daran beteiligt, doch auch chronische Krankheiten wie Schilddrüsenüberfunktion oder Nierenerkrankungen können Vorhofflimmern verursachen. Bei einem Drittel der Patienten bleibt die auslösende Ursache allerdings unbekannt.
Durch das Vorhofflimmern kommt es zu einem unregelmäßigen Herzschlag und die Herzvorhöfe können sich nicht mehr komplett in die Hauptkammern des Herzens entleeren. Das bedeutet, dass sich das Blut in den Vorhöfen leichter staut und dabei einen Thrombus bilden kann, insbesondere im linken Vorhofohr. Der Thrombus kann dann über den Blutkreislauf ins Gehirn geschwemmt werden und dort einen Hirninfarkt auslösen.
Bei Vorhofflimmern werden verschiedene Scores zur Einteilung nach Risikomerkmalen verwendet, wobei in Europa am häufigsten der CHA2DS2-VASc-Score Anwendung findet.
Risikoanalyse mittels CHA2DS2-VASc-Score
Der CHA2DS2-VASc-Score ist eine Weiterentwicklung des CHADS2-Scores und wird zur Entscheidung herangezogen, ob ein Patient mit Vorhofflimmern vorbeugend ein gerinnungshemmendes Medikament erhalten sollte. Diese sogenannten Blutverdünner (OAK = orale Antikoagulanzien) verhindern zwar, dass sich Blutgerinnsel bilden, erhöhen jedoch gleichzeitig die Blutungsneigung. Bei der Nutzen-Risiko-Analyse muss daher abgewogen werden, wie hoch das Schlaganfallrisiko gegenüber einer Blutungsgefahr ist.
Während der CHADS2-Score nur fünf Faktoren des Schlaganfallrisikos berücksichtigt, werden beim CHA2DS2-VASc-Score noch drei weitere Parameter mit einbezogen. Die Abkürzung CHA2DS2-VASc steht für:
- Congestive heart failure (Herzinsuffizienz): 1 Punkt
- Hypertension (Bluthochdruck): 1 Punkt
- Age (Alter) > 75: 2 Punkte
- Diabetes mellitus: 1 Punkt
- Stroke (Schlaganfall): 2 Punkte
- Vascular disease (Gefäßerkrankung): 1 Punkt
- Age (Alter) 65-74: 1 Punkt
- Sex category (Geschlecht): 1 Punkt
Für das Alter über 75 Jahre und einen vorausgehenden Schlaganfall werden jeweils zwei Punkte gegeben, da diese beiden Faktoren das Risiko stärker erhöhen als die anderen. In der Kategorie Geschlecht wird für Frauen ein Punkt vergeben, da diese gegenüber Männern ein zweifach erhöhtes Risiko für klinisch schwere Schlaganfälle haben, sofern weitere Risikofaktoren bestehen.
Die Gesamt-Punktzahl zeigt dann das Schlaganfallrisiko von Menschen mit Vorhofflimmern an:
- 0-1 Punkte: Geringes Risiko
- 2 Punkte: Mittleres Risiko
- 3-6 Punkte: Hohes Risiko
Das individuelle Schlaganfallrisiko bei Vorhofflimmern hängt also stark von zusätzlich bestehenden Risikofaktoren ab. Eine Behandlung mit OAKs wird empfohlen für Männer mit Vorhofflimmern und einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥ 2 und für Frauen mit einem Score ≥ 3.2,3
Antikoagulanzien zur Vorbeugung
Große Studien haben gezeigt, dass die Therapie mit OAKs die meisten Schlaganfälle verhindern und die Lebenserwartung verlängern kann. Wichtig für Risikopatienten ist in jedem Fall, das Schlaganfallrisiko regelmäßig von einem Arzt neu bewerten zu lassen.4
Zur Behandlung stehen zwei verschiedene Gruppen von OAKs zur Verfügung: die Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und die Nicht-Vitamin-K-basierten oralen Antikoagulanzien (NOAKs).
Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie spricht sich zugunsten von NOAKs aus, da hierbei weniger Herz-Kreislauf-bedingte Todesfälle und deutlich weniger Hirnblutungen auftreten. Allerdings sollten NOAKs nicht bei Patienten mit mittel- bis hochgradiger Mitralklappenstenose oder mechanischen Herzklappen sowie schwerer, chronischer Niereninsuffizienz eingesetzt werden.
Obwohl bei der Entscheidung zu einer OAK-Therapie das Schlaganfallrisiko gegen das erhöhte Blutungsrisiko durch die OAK-Therapie abzuwägen ist, übertrifft der Nutzen zur Schlaganfallprävention bei entsprechendem Score das Risiko von Blutungen.
Thrombozytenaggregationshemmer
wie z. B. Acetylsalicylsäure sind den OAKs unterlegen und werden heute nicht mehr zur Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern empfohlen. Sie kommen nur noch bei anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen zum Einsatz.
Das Blutungsrisiko und der HAS-BLED Score
Auch das Blutungsrisiko hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab; mit zunehmender Anzahl von Risikofaktoren steigt das Blutungsrisiko, insbesondere für Hirnblutungen. Die Risikofaktoren überschneiden sich jedoch teilweise mit denen für Schlaganfälle, sodass Patienten mit erhöhtem Schlaganfallrisiko meist auch ein erhöhtes Blutungsrisiko haben. Um das Blutungsrisiko zu bestimmen, gibt es wiederum mehrere Scores, die herangezogen werden können. Meist wird der HAS-BLED Score verwendet, bei dem folgende Risikofaktoren berücksichtigt werde
- Hypertension (Bluthochdruck)
- Abnormale Nieren- oder Leberfunktion
- Stroke (Schlaganfall in der Vergangenheit)
- Bleedings (Blutungen in der Vergangenheit)
- Labile, schlecht eingestellte Gerinnungswerte
- Elderly (Alter > 65)
- Drugs (Medikamente, Alkohol)
Ein erhöhter HAS-BLED Score sollte nicht unbedingt eine OAK-Therapie ausschließen – vielmehr ist es besonders wichtig, die Risikofaktoren nach Möglichkeit zu verringern, um die Blutungshäufigkeit unter der OAK-Therapie zu senken. Patienten mit der Gefahr von schweren, unkontrollierten Stürzen aufgrund bestimmter Erkrankungen sollten nicht mit OAKs behandelt werden.
Bestehen bei Vorhofflimmern eindeutige Gründe gegen die Behandlung mit Blutverdünnern, so kann der Verschluss des linken Vorhofohrs mit einem Schirmchen (sogenannter LAA-Okkluder) in Erwägung gezogen werden.
Individuell müssen natürlich sowohl das Schlaganfallrisiko als auch das weitere Vorgehen immer gründlich mit den behandelnden Ärzten besprochen werden.
Autorin: Johanna Schmidbauer, medproduction GmbH, www.medproduction.de
Datum: September 2019
Quellen:
1. Internisten im Netz, Bundesverband Deutscher Internisten e.V.:
www.internisten-im-netz.de (Abruf: 09/2019)
2. 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. European Heart Journal; 37; 38; 2893-2962 (Abruf: 09/2019)
3. Eckardt, L., Deneke, T., Diener, H.C. et al. Kommentar zu den 2016 Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zum Management von Vorhofflimmern. Kardiologe 2017; 11:193–204
4. Gesundheitsinformation, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): www.gesundheitsinformation.de (Abruf: 09/2019)
9-GE-5-10414-02 10-2019